Der Schlossbahnhof Ballenstedt – einst ein verlassener Ort – erstrahlt heute in neuem Glanz. Ein niederländisches Paar hat das historische Gebäude wiederbelebt und zur Genussstation mit Brasserie, Ferienwohnungen und kulturellen Events umgestaltet. Vor der Tür halten heute Radfahrer – und der PlusBus 240.

Edward Vernhout im Veranstaltungsraum.
Wenn Ingrid Lukens und Edward Vernhout in ihrer Brasserie „Gleis 1“ Frikadellen servieren, ist das ein kulinarisches Erlebnis der niederländischen Art: Ihre „Frikandel“ ist ein länglicher, schnurgerader Fleischsnack aus fein gehacktem Fleisch. Dazu gibt es Kroketten mit einer Ragout-Fleischfüllung, Amsterdamer Bier und Pommes. Während die Gäste genießen, erzählen die Gastgeber gern ihre außergewöhnliche Geschichte: 2019 haben die beiden Enthusiasten aus den Niederlanden den alten Schlossbahnhof Ballenstedt im Harz gekauft, jahrelang liebevoll saniert und in einen Ort des Feierns, der überraschenden Begegnungen und des Austauschs verwandelt.
"Willkommen ist
unser zweiter Name"
Dabei sind sie keine Immobilieninvestoren mit einem großen Portfolio an Häusern – sie haben ihr altes Leben in den Niederlanden eingetauscht gegen das Abenteurer Bahnhof Ballenstedt. Ihr Motto: Treffen, Verbinden, Bleiben. „Willkommen ist unser zweiter Name“, steht auf ihrer Internetseite. Und das spürt man gleich. Den ganzen Tag über wuseln Handwerker, Künstler und Gäste durchs Haus, ohne sie aus der Ruhe zu bringen. An einer Fotowand hängen Porträts von Menschen aus aller Welt, die ihnen in den vergangenen Jahren beim Ausbau geholfen haben.
Neben vielen Handwerkern aus der Region kamen mehr als 100 Freiwillige aus 35 Ländern zu Arbeitseinsätzen – mit Ingrid als Bauleiterin. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier kam schon vorbei und seine Hoheit Eduard Prinz von Anhalt: Der 83-Jährige ist ein Nachfahre des alten Herzogs von Anhalt, lebt heute in Berlin und hat das Bahnhofsgebäude offiziell eröffnet. Seither hat er schon ein paar Mal im Schlossbahnhof Pommes und Bier genossen, erzählt Edward.
Echte Prinzen
im Fürstenzimmer
Der einstige Herzog von Anhalt stieß in den 1860er Jahren den Bau der Bahnlinie zwischen Halberstadt und Halle und eine Nebenstrecke zu seiner Sommerresidenz Ballenstedt an. Später ließ er nahe dem Schloss einen eigenen Bahnhof errichten, samt einer noblen Wachstube: den Fürstenbahnhof. Das komplett sanierte Nebengebäude ist heute eine Ferienwohnung mit Kronleuchter und Ahnenbildern. Daneben gibt es vier weitere Gästewohnungen, die nach weltbekannten Bahnstrecken wie „Orient-Express“ und „Transsibirischer Express“ benannt sind. Und die Brasserie bietet donnerstags bis sonntags selbstgebackene Kuchen und diverse Speisen, darunter auch niederländische Snacks wie Frikandel und Kroketten.


Perlenschnur PlusBus 240
Stündlich verbindet die PlusBus-Linie 240 die Unesco-Welterbestadt Quedlinburg (Foto unten) mit Aschersleben – der ältesten Stadt Sachsen-Anhalts mit ihrer gut erhaltenen, mittelalterlichen Stadtmauer, die den historischen Ortskern umschließt.
An der Busstrecke liegen diverse touristische Höhepunkt wie auf einer Perlenschnur: Dazu gehört der zauberhafte Kurort Bad Suderode mit seinem Ensemble aus Logierhäusern im Pensionshausstil. Nach einem Stopp am Bahnhof der Harzer Schmalspurbahn in Gernrode hält der PlusBus am Schlossbahnhof Ballenstedt ganz in der Nähe des Schlosses – eine märchenhafte, barocke Dreiflügelanlage aus dem 18. Jahrhundert mit einem beeindruckenden Landschaftspark. Der PlusBus 240 eignet sich damit besonders für Tagesausflüge, um historische Orte und die Natur zu erkunden.
Das Sachsen-Anhalt-Ticket und das Deutschland-Ticket sind gültig.
Direkter Anschluss an Gernroder Bahnhof


Der Zugverkehr auf der Strecke vor der Haustür war 2003 aufgrund zu geringer Nachfrage eingestellt worden und der Bahnhof verfiel zusehends – bis Ingrid und Edward kamen, um ihn wieder wach zu küssen.
Die Bahntrasse wurde währenddessen betoniert und zu einem rund acht Kilometer langen Radweg bis Gernrode ausgebaut. Er bietet heute einen direkten Anschluss an den historischen Gernroder Bahnhof der Harzer Schmalspurbahn. An einem langen Bussteig vor dem bald 140 Jahre alten, denkmalgeschützten Gebäude halten reihenweise Harzer Regionalbusse bis nach Thale und die PlusBus-Linie 240 – sie bringt die Gäste bis Quedlinburg und Aschersleben.
Bahnhof als Museum
Der elegante Ziegelbau mit seinen geschwungenen Dächern und Bogenfenstern ist heute ein Museum seiner selbst: Fassade, Schalterhalle und viele Räumlichkeiten sind historisch erhalten, in Vitrinen stehen Andenken aus der wechselvollen Geschichte. Auf Stellwänden hängen Bilder vom maroden und vernagelten Bahnhof vor dem Verkauf und von der Renovierung danach – als die stolzen Neubesitzer ihn entkernten und mehr als 200 Tonnen Schutt und Müll beräumten. Dieses Jahr gehören sie nun zu den Favoriten des Stadtumbau-Awards für Sachsen-Anhalt. Das Thema: Städte gestalten – verlorene Orte wiederbeleben.
Homeoffice im Museumsbahnhof
Die beiden Abenteurer hatten bereits eine bewegte Biografie hinter sich, als sie sich auf ihren Weg nach Ballenstedt machten: Ingrid Lukens, 57, die aus der Nähe von Groningen stammt, hat in der Jugendhilfe und als Projektmanagerin gearbeitet, ein Taschenlabel gegründet und die Kunstakademie besucht. Heute leitet sie den Bahnhofsumbau, schmeißt die Gastronomie und backt jede Woche mehr als 20 Kuchen.
Edward, 54, und aus Zwolle, ist seit 30 Jahren Unternehmer und IT-Experte. Bis heute arbeitet er Vollzeit als freiberuflicher IT-Projektleiter für ein niederländisches Unternehmen und fährt einmal die Woche die 600 Kilometer zum Firmensitz nach Den Haag. Sein Homeoffice hat er stilgerecht hinter dem alten Fahrkartenschalter eingerichtet.
Von einem eigenen Gastronomie-Projekt im Ausland oder einem Bahnhof hatten sie schon länger geträumt, als Ingrid das Verkaufsangebot auf einem Immobilienportal entdeckte. Ein paar Wochen später fuhren sie nach Ballenstedt. „Als wir in die Bebelstraße einbogen, haben wir uns sofort verliebt“, erzählt Edward.
"Sofort in den Bahnhof verliebt"
Einige schlaflose Nächte, lange Gespräche und Verhandlungen später schlugen sie zu – und verkauften ihr Haus in den Niederlanden. Seither haben sie mehr als 1,3 Millionen Euro in den 1.000 Quadratmeter großen Bahnhof gesteckt und sich selbst dort eingerichtet. „Viele Leute mögen denken, dass wir reich sind. Aber wir haben unser ganzes Geld in das Bahnhofsgebäude gesteckt und große Kredite bei der Bank laufen“, sagt Edward. „Wir
sind nur reich im Herzen und stolz, dass der Bahnhof wieder leuchtet und lebendig ist.“


Großes Herz statt dickes Konto
Der Bahnhof ist ein Ort für bunte Veranstaltungen geworden, darunter viele Konzerte, Lesungen, Wellness, Grillabende. Das überregionale Interesse ist seither spürbar gewachsen, sogar deutsche und niederländische Fernsehsendungen haben schon über das außergewöhnliche Auswandererpaar berichtet und den östlichen Harz mit seinen Attraktionen noch bekannter gemacht. Zur Brasserie-Eröffnung im September 2023 kamen 500 Ballenstedter, zum Tag des offenen Denkmals 1.500 Interessenten. „Die Menschen in der Region sind froh, dass es hier wieder mehr Leben gibt“, sagt Edward. „Und wir auch.“

Aktiv rund um Ballenstedt
Der Schlossbahnhof Ballenstedt ist ein guter Ausgangspunkt für Harz-Abenteuer: Das grüne Selketal lädt ein zu faszinierenden Wanderungen wie zur Teufelsmauer, einer 35 Kilometer langen Felsformation aus hartem Sandstein, die sich bis Blankenburg erstreckt. Auch das idyllische Märchenschloss Roseburg mit seiner beeindruckenden Parkanlage, die Burg Falkensteinund die Gegensteine sind nur wenige Kilometer zu Fuß entfernt. Für Nostalgiker startet in Gernrode die Harzer Schmalspurbahn – und vor der Haustür wartet die umgestaltete Bahntrasse auf Radwanderer.

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