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Neue Empfangsgebäude der Bahn sind selten geworden in Deutschland. Bitterfeld aber hat jetzt eines bekommen. Die Mission: mehr Service, mehr Nachhaltigkeit. Der gerade eröffnete Neubau gilt als Deutschlands umweltfreundlichster Bahnhof.
Eine Drehscheibe für den Bahnverkehr in der ganzen Region“

Seine bernsteinfarbene Fassade erinnert an die Naturschätze aus dem Tagebau, sein aufstrebendes, segelförmiges Dach soll zukünftig einen Ausblick geben auf die Badelandschaften der Goitzsche: Das nagelneue Empfangsgebäude am Bahnhof Bitterfeld baut Brücken zwischen Vergangenheit und Zukunft, zwischen dem Zugverkehr und der Region. Als einer der ganz wenigen Neubauten in Deutschland wurde er Mitte Juli eröffnet. Der Bund, das Land Sachsen-Anhalt, die Stadt Bitterfeld-Wolfen und die Deutsche Bahn haben das Zukunftsprojekt, das auch den Umbau des Bahnhofsvorplatzes beinhaltet, mit rund 23 Millionen Euro finanziert. Grünes Licht für das Vorzeigeobjekt gab es nicht zuletzt durch das Investitionsgesetz für Deutschlands Kohleregionen „InvKG“, das den Strukturwandel mit bedeutsamen Vorhaben unterstützt.
Wenige Wochen vor der Eröffnung durchstreift Karsten Kammler die Baustelle, inspiziert das hölzerne Mobiliar, die neuen Läden und die Bahnhofsuhr aus der Turmuhrenmanufaktur Perrot in Baden-Württemberg. Der hochgewachsene Mann mit Glatze ist Bahnhofsmanager für 160 Stationen im südlichen Sachsen-Anhalt, darunter auch Halles Hauptbahnhof. Und er ist bester Dinge: „Bitterfeld ist ein absolutes Leuchtturmprojekt und eine Drehscheibe für den Bahnverkehr in der ganzen Region“, schwärmt Kammler. Rund 200 Züge halten dort am Tag: Regionalbahnen, S-Bahnen und ICEs Richtung Magdeburg, Halle/Saale und Dessau, Berlin, Leipzig und München. Bis zu 6.500 Reisende steigen in Bitterfeld täglich ein und aus – Tendenz weiter steigend. „Bitterfeld ist hervorragend angebunden“, sagt der Bahnhofsmanager.
Täglich von 6 bis 22 Uhr
Die neue Anlaufstation für Reisende bietet täglich von 6 bis 22 Uhr unter anderem eine Bäckerei mit modernem Café, ein Geschäft für Reisebedarf wie Getränke, Zeitschriften und Tabakwaren. Es gibt eine Servicestation mit persönlichen Ansprechpartnern von „mein Takt“, der Mobilitätsmarke für Sachsen-Anhalt, sowie der Deutschen Bahn, dazu WLAN, Schließfächer, Geld- und Ticketautomaten, Toiletten und eine Packstation. Die Bundespolizei hat wieder ein Revier, und auch die Bahnhofsmission ist zurückgekehrt. Geblieben ist die historische Rangierlok der Baureihe V 22, die auf einem Sockel vor der Tür thront.
Grüner Bahnhof mit Nadelstreifen

Besonders macht das Empfangsgebäude aber noch ein anderer Umstand: Die Station Bitterfeld gilt nun als Deutschlands nachhaltigster Bahnhof. Die Fassade des Gebäudes mit einer Mischung aus Gold, Bronze und Kupfer sei vom Bitterfelder Bernstein inspiriert und besteht komplett aus recyceltem Aluminium. Die Herstellung spare 95 Prozent CO₂-Emissionen gegenüber neuem Aluminium, erzählt Kammler. Das 1.000 Quadratmeter große Dach ist mit heimischen Pflanzen begrünt. Sie dämmen das Gebäude und bieten Insekten und Vögeln Lebensraum und Nahrung. Außerdem verbessert das Gründach die Luftqualität und speichert Regenwasser.
Eine Solaranlage darüber soll den Strombedarf des Gebäudes weitestgehend decken. Große Oberlichter lassen zudem Licht und Sonnenschein ins Innere strömen, damit weniger künstliche Beleuchtung benötigt wird. Sitzbänke und Teile des Bodens bestehen aus einer besonders widerstandsfähigen, gepressten Holz-Bambus-Mischung – statt Plastik. Im Winter wird mit klimaneutraler Fernwärme geheizt. Die riesigen Glasfronten sind zudem mit feinen Alustreifen bedampft – als Hitzeschutz und damit Vögel nicht gegen die Scheiben fliegen. „Bitterfeld bekommt Nadelstreifen“, witzelt Projektleiter Alexander Hartmann von DB InfraGO.
Vom Plan bis zur Umsetzung: In Bitterfeld hat sich viel verändert.
„Eine Sanierung wäre zu aufwendig gewesen“
Entstanden ist das Empfangsgebäude auf den Umrissen des alten, maroden Gebäudes von 1857, das in keinem guten Zustand mehr war. „Eine Sanierung wäre zu aufwendig gewesen“, erzählt Hartmann. Eine Ecke des früheren Gebäudes, an der die Stromversorgung anliegt, blieb dabei aus technischen Gründen stehen, inklusive der Elektroanlage. Daneben hat Hartmann ein großes Fenster einbauen lassen, damit Reisende schon von der Bahnhofshalle aus auf die Gleise schauen können. Die Idee zum Neubau kursierte schon einige Jahre, konnte aber erst mit den Strukturfondsmitteln für die Kohleregionen Wirklichkeit werden. 2023 begann der Abbruch, im Oktober konnte der neue Grundstein gelegt werden. Im April 2024 stand bereits der Rohbau. Der Entwurf stammt vom Bahn-Architekten Stephan Böhning.
Bahnhöfe müssen Anschlüsse an alle Formate nachhaltiger Mobilität bieten
Mit der Eröffnung ist die Modernisierung aber nicht abgeschlossen: Der weiß geflieste Fußgängertunnel wird neu gestaltet, er bekommt mehr Licht, neue Aufzüge, Informationstafeln und Schieberinnen für Fahrräder an den Treppen. Stadt, Land und die NASA GmbH wollen auch den Außenbereich mit dem Zentralen Omnibusbahnhof für die Buslinien umgestalten. Entstehen sollen neue Stellplätze samt Elektroladesäulen und Fahrradabstellhäuschen für bis zu 120 Räder. „Wir bauen gemeinsam einen ganzheitlichen Zukunftsbahnhof“, sagt Kammler. „Bahnhöfe können heute nicht mehr isoliert betrachtet werden, sie müssen Anschlüsse an alle Formate nachhaltiger Mobilität bieten.“
Kammler, 59, ist in vierter Generation Bahner und er
schätzt Traditionen. „Ein ordentlicher Bahnhof gehört zum Zugfahren einfach dazu“, sagt er. „Er ist das Tor in die Region – mit dem Bahnhof fängt einfach alles an.“ Dieses Argument hat auch den Konzernvorstand davon überzeugt, einen Neubau zu errichten. Nach dem Empfangsgebäude in Lutherstadt Wittenberg, das im Reformationsjahr 2017 eröffnet wurde, ist es erst der zweite komplette Bahnhofsneubau in Sachsen-Anhalt – und einer von ganz wenigen in ganz Deutschland. „Klotzen, nicht kleckern – das haben wir hier unter Beweis gestellt“, sagt Martin Walden, Konzernbevollmächtigter der DB für Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen. Und es soll nicht das letzte Mal gewesen sein.

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